(c) DIE
ZEIT 35/2001
A M
S T A R T : J E N S J E S S E N , Z E I T -
F E U I L L E T O N C H E F , I M M A S E R A T I
3 2 0 0 G T
Neptun,
inkognito
Über
die ungeheuerliche Provokation eines Sportwagens, dem jede
Vulgarität fehlt
Von Jens Jessen
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Ein Maserati ist
nicht unbedingt das, was manche sich darunter vorstellen. Er ist weder
so teuer wie ein Ferrari oder Aston Martin, noch ist er etwa ein
Sportwagen von jener Art, die man »kompromisslos« zu nennen
pflegt. Ein Maserati 3200 GT ist zunächst einmal, seinen
erschröcklichen 370 PS zum Trotz, ein Auto, das den Fahrer mit
einer Aura sanfter Gelassenheit und unerschütterlicher Ruhe
umfängt. Sanft sind seine Linien, unerschütterlich die
Festigkeit der Karosserie, gelassen der Verzicht auf ein
Übermaß an Hebeln und Anzeigen.
Mit dem Maserati kann man einfach losfahren, als
hätte man nie etwas anderes getan. Es gibt einen kurzen Schock
beim Anlassen des Motors, der sich mit dem berühmten Donnergrollen
meldet, aber einem gedämpften nur, wie eine milde Warnung. Dann
geht alles wie geschmiert; vorausgesetzt, man geht vorsichtig mit dem
Gaspedal um und hat eine Automatik an Bord. Mit Kupplung und
Sechsgangschaltgetriebe ist alles anders; über die Kupplung haben
Autotester schon Horrorgeschichten geschrieben, es war eine schwere
Kränkung für die Vertreter der Zunft, sie konnten mit dem
Wagen nicht losfahren, bald erstarb der Motor, bald drehten die
Räder rasend durch.
Die Kupplung, kurzum, ist ein ernster Hinweis auf das
bedrohliche Drehmoment von acht Zylindern, vier Nockenwellen und zwei
Turboladern (maximal sind es 491 Newtonmeter); aber weitere Hinweise
auf die Wahrheit werden von diesem Wagen nicht gegeben, und die
Automatik verweigert sogar diesen. Die Wahrheit zeigt sich erst auf der
Autobahn, wenn der Motor, als sei es nichts, noch einmal hurtig von 220
auf 260 km/h beschleunigt. Nur die Turbolader melden sich mit einem
leisen Pfeifen vorn rechts und vorn links; ungefähr so, wie ein
Meister seines Faches bei einem schwierigen, doch gewohnten Handgriff
leise vor sich hin pfeift. Der Maserati pfeift also stillvergnügt
vor sich hin und vertreibt den Mercedes, der nicht weichen wollte, von
der linken Spur. Man merkt dem Mercedes das ungläubige Staunen an
(es ist mehr Staunen als Widerwille), denn der Maserati macht dabei ein
liebes und durchaus nicht aggressives Gesicht. Es fehlen ihm das
vorgeschobene Kinn und die gefletschten Zähne der deutschen Raser;
er zeigt sich bei der ganzen Operation wie ein feiner Herr, der in eine
Kneipenschlägerei geraten ist, die er zur allgemeinen
Verblüffung schlichtet, indem er den Hauptrabauken kurzerhand wie
ein zappelndes Kind nach draußen trägt.
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Der Maserati hat keine Egoprobleme, er ist kein Porsche
und kein Mercedes SL, er ist ein Gentleman mit besten Manieren und von
überwältigend unaufdringlicher Eleganz, der nur
zufällig, als sei es eine Laune der Natur, über herkulische
Kräfte verfügt. Wenn er so am Straßenrand steht,
könnte man ihn glatt übersehen; es sei denn, man senkte den
Blick und bemerkte das feine Gitter des Kühlergrills mit dem
Dreizack darauf (als hätte Neptun sein Netz ausgeworfen). Im
Allgemeinen aber beginnt die Wahrnehmung eines Maserati erst, wenn man
schon ein paar Schritte weiter ist und irgendetwas zu zwicken beginnt
(als wäre eine unverschämte Bemerkung im Rücken
geflüstert worden).
Nur die vier Auspuffrohre fallen auf
Was da aber gezwickt hat, das war die ungeheuerliche
Provokation eines Autos, dem jede Vulgarität fehlt. Vielleicht
lässt sich der Maserati überhaupt am besten durch das
beschreiben, was ihm fehlt oder worauf er, besser gesagt, verzichtet.
Es fehlen ihm die Spoiler, die Luftaustrittsschlitze, die rot
lackierten Bremssättel; nicht einmal die Reifen sind
übertrieben breit. Es fehlen alle Showelemente; sieht man einmal
davon ab, dass vier Auspuffrohre notgedrungen auf etwas verweisen, das
einem vage unheimlich vorkommen könnte. Es ist aber der einzige
Hinweis auf 270 km/h Höchstgeschwindigkeit, eine Beschleunigung
von weniger als sechs Sekunden auf 100 km/h und terroristische 27 Liter
Verbrauch im Stadtverkehr.
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Es bedarf schon einer gesteigerten Empfänglichkeit
für Aristokratie, um im Verzicht selbst etwas Unheimliches zu
sehen; so wie etwa bei reichen Leuten das Fehlen vergoldeter
Badezimmerarmaturen misstrauischer machen sollte als ihr Vorhandensein.
Ein Maserati stellt nichts zur Schau. Man könnte sich im Innenraum
sogar etwas enttäuscht umsehen, wo nichts als gutes Leder auf
Luxus verweist. Die Instrumente, die Schalter, die Sitze, alles ist von
jener funktionellen Trockenheit, die italienisches Automobildesign
auszeichnet. Worum geht es dabei? Es geht darum, die Nerven
empfindlicher Menschen zu schonen, die sich vor Überreizung
fürchten.
Man muss schon eigens die Motorhaube öffnen, um
sich so etwas wie einen optischen Kitzel zu verschaffen. Da freilich
zeigt sich nicht die dumme Kunststoffkappe, unter der sich bei
deutschen Luxuslimousinen die Maschine verbirgt. Da sehen wir das
sorgfältig gefaltete Geflecht der Ansaugrohre, die roten
Zylinderköpfe, eine Technik, die sich nicht verbergen muss,
sondern wie eine Skulptur den Ordnungssinn der Ingenieure offenbart. Es
ist ein kostbarer, aber wiederum nicht einschüchternder Anblick,
denn - letzte Verblüffung - der Motor ist klein. Es sind 3,2
Liter, aus denen der Maserati 370 PS bezieht, und man muss sich die
Literleistung von fast 120 PS einmal vor Augen führen, um die
Kniffe und Raffinesse, wahrscheinlich auch Empfindlichkeit dieses
Wunderwerks zu erkennen. Ein Mercedes SL, zum Vergleich, holt bei
ebenfalls acht Zylindern 306 PS aus fünf Litern: Da kann man es
ruhig angehen.
Rührend kleiner Motor mit 370 PS
Der Maserati kann es nicht ruhig angehen. Dass er nach
außen gleichwohl so gelassen wirkt, ist eher ein Ergebnis von
Haltung und Disziplin, von Stil und Klasse. Was mag es ihn kosten, sein
kleines, schnell schlagendes, in Wahrheit wohl aufgeregtes Herz zu
verbergen? Hat man es einmal gesehen, ist es schwer, sich einer
gewissen Rührung, wohl auch Sorge um die Gesundheit dieses Helden
zu entziehen. Um einen Maserati zu lieben, muss man das Kultivierte und
Erzogene höher schätzen als die ursprüngliche Kraftnatur.
Ein tüchtiger Aufsteiger kann von einem Porsche,
einem Mercedes-Coupé träumen: Da bekommt er etwas Robustes
für das mühsam errungene Geld. Ein Börsenmakler kann von
einem Ferrari träumen: Da bekommt er etwas Spektakuläres
für den Spekulationsgewinn.
Um aber von einem Maserati zu träumen, muss man auf
Robustheit wie auf die Show verzichten. Mit dem Dreizack ist es wie mit
dem Zepter oder den gekreuzten Schwertern auf Porzellan: Nur dem Kenner
erschließen sie sich. Dafür bekommt der Kenner aber mehr
für sein Geld. Der 3200 GT ist preiswürdig; übrigens
ebenfalls ein aristokratischer Zug. Denn auch das glühende Herz
einer Prinzessin zu erobern (der 3200 GT Automatik kostet 155 000
Mark) ist oft leichter, als die träge Lymphe einer
Fabrikantentochter in Wallung zu bringen (der neue Mercedes SL kostet
rund 180 000 Mark).
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